Costa Rica

Rendezvous bei Vollmond mit Celia Cruz

Full Moon Salsa FestivalBericht vom ersten Festival Internacional "Full Moon Salsa" am 31. Januar 1999 im Autodromo "La Guacima" in Costa Rica

von Robert Lücking

Es ist schon ein Paradox, und doch so bezeichnend für die Situation in Lateinamerika – auch wenn der allgegenwärtige Einfluß der U.S.A. im wirtschaftlichen und soziokulturellen Bereich zum festen Bild geworden ist: Selbst die Salsa, die populärste Form der afrokubanischen Tanz-musik, nahm ihren Ursprung in den Staaten, genauer gesagt in New York. Und so erklärt es sich, daß die wichtigsten alljährlichen Salsa-Festivals in den U.S.A. stattfinden: das traditionelle "Festival de la Salsa" im New Yorker Madison Square Garden und "Salsa En La Calle Ocho" in Miami. In der afrokubanischen Musikszene gilt heute sogar die unausgesprochene Regel, daß man als Orchester oder Interpret noch so gut sein kann – bevor man nicht in Miami oder New York gespielt hat, hat man die Feuertaufe nicht bestanden. Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch in den Staaten fast ausschließlich Latinos sind (Exil-Cubaner in Miami, Puertoricaner in New York), welche die Salsa-Szene bestimmen – die eigentlichen "Gringos" tun sich mit afrokubanischer Tanzmusik noch immer sehr schwer.

Seit Anfang dieses Jahres hat nun nach Puerto Rico und Kolumbien auch Costa Rica sein Salsa-Fest. Das erste Festival Internacional "Full Moon Salsa" fand am 31. Januar im Autodromo "La Guacima" in der Nähe der Hauptstadt San José statt. Costa Rica ist im Ver-gleich zu den U.S.A., Cuba, Puerto Rico, der Dominikanischen Republik oder Kolumbien nicht gerade ein international bekannter Produzent afrokubanischer Tanzmusik, aber die Besetzung des Festivals konnte sich sehen lassen! José Alberto "El Canario", Celia Cruz und La India gehören derzeit zu den absoluten Salsa-Topacts, und an nationalen Gruppen war fast alles dabei, was in Costa Rica Rang und Namen hat.

Eigentlich war ich zu biologischen Feldarbeiten für drei Wochen nach Costa Rica ge-kommen und sollte die meiste Zeit in der Station "La Selva" im Regenwald am Rande des Braulio-Carrillo-Nationalparks verbringen. Eine erfreuliche Abwechslung im täglichen Sta-tionsleben ergab sich jedoch in Person von Tania, der costaricanischen Labor-Managerin, die versuchte, uns Grin-gos in die tieferen Geheimnisse der Salsa einzuweihen. Zwar waren wir nur ein kleines Häuflein Salsa-Begeisterter, aber schon bald war der Entschluß gefaßt, das etwas eintönige Stations-leben für einen Tag gegen einen Besuch des "Full Moon Salsa"-Festivals in San José einzutauschen. Wir, das waren neben Tania und mir noch Melissa, Grant und Matthew ("Mateo"), drei amerikanische Biologen und Geologen. Und so brachen wir am Sonn-tag in aller Herrgottsfrühe auf, um die Ticos das Fürchten zu lehren und zu demonstrieren, das auch echte Gringos Salsa tanzen können. Am Ziel, welches wir nach einer abenteuerlichen Bus- und Taxi-fahrt kurz nach Mittag erreichten, trafen wir auf Monika, eine deutsche Biologin, und weitere 5.000 Salsa-Begeisterte. Schon nach den ersten Sekunden waren wir von der tollen Open-Air-Atmosphäre angesteckt! Zwar hatten die Veranstalter auf 30.000 Fans gehofft (und 20.000 wären zur Deckung der Kosten notwendig gewesen...), aber auch der doch deutlich unter diesen Erwartungen liegende Zuspruch tat der allgemeinen Stimmung keinen Abbruch. Und so pack-ten wir erst einmal unser Picknick aus und ließen uns von den ersten Salsa- und Cumbia-Klängen der costa-ricanischen Gruppen "Grupo Tabasco", "Son Caribe" und "Kike de Heredia" einstimmen. Zusätzlich angeheizt wurden wir durch die Bailarines, semi-professionelle Tänzer aus dem Merecumbé und anderen ansässigen Tanzschulen, die ihre beneidenswerten Fertigkeiten auf eigens aufgestellten Bühnen unter Beweis stellten, aber letztlich war es an uns selbst, das Tanzbein zu schwingen und so das unübertroffene Salsa-Feeling am eigenen Leib zu erleben.

Gegen nachmittag, nach drei Stunden Salsa non-stop, machten sich bei dem einen oder anderen erste Verschleißerscheinungen bemerkbar. Melissa, die es sich mitten unter den Salseros zu einem Nickerchen gemütlich gemacht hatte, zog zu unser aller Vergnügen sogar die Aufmerksamkeit eines Kameramanns der nationalen Fernsehanstalt auf sich, der ihre "Aktivität" aus allen möglichen Blickwinkeln zoomte... Ansonsten stellen braungebrannte "Muchachos" ob der Hitze ihre muskulösen Oberkörper zur Schau, was den ins Visier genommenen Damen seltener Bewunderung als meist nur ein müdes Lächeln abringte. Zwischendurch unterhielten wir uns mit dem einen oder anderen Salsa-Begeisterten, und als ich ein paar Ticos danach fragte, was sie denn davon halten würden, daß die Salsa ursprünglich aus New York komme, da meinten sie: "Das hören wir heute zum erstenmal, und außerdem ist es völlig egal, Hauptsache wir können darauf tanzen." Und so stürzten wir uns wieder ins Getümmel!

Eines muß man den Organisatoren lassen: das Timing war ausgezeichnet. Die Qualität und Popularität der Gruppen nahm stetig zu, und am späten Nachmittag heizten erstmals "Taboga Band" und "Los Brillanticos" so richtig ein, zur Zeit sicherlich die besten Salsa- und Merengue-Bands in Costa Rica. Als dann kurz vor sechs Uhr die Sonne endgültig verschwand und ein riesiger Vollmond tatsächlich den schwarzen Himmel und die Szene erhellte, war die Inszenierung perfekt und der Moment gekommen, auf den alle gefiebert hatten: Auftritt der großen Drei! José Alberto machte den Anfang, ließ zunächst noch fünf Minuten auf sich warten und steigerte die Spannung (super gemacht von den Moderatoren von Radio "Sabrosa"!) schier ins Unerträgliche, aber dann ging die Post ab! Nun ist "El Canario" eigentlich mehr als Chorsänger beschäftigt und oft nur aus Duetten bekannt (z.B. mit Oscar D'Leon), aber sein Auftritt war absolut spektakulär und wesentlich mehr als nur ein Aufheizer für das, was danach kommen sollte. Perfekt: das RMM-Orquester und der Sound, ein deutlicher Unterschied zu den zuvor aufgetretenen Gruppen. Absolute Höhepunkte des einstündigen Spektakels: zum einen der Moment, als José Alberto sein Jackett auszog (mehrere Teenies sollen in Ohnmacht gefallen sein...), zum anderen die tolle Interpretation des Africando-Hits "Yah Boy" mit einer Flöten-Einlage, die zeigte, woher José Alberto seinen Spitznamen "El Canario" hat. Eine Flauta im Charanga-Stil war dort zu hören, und die Beherrschung des Instrumentes meisterhaft, nur: es war gar keine Flauta vorhanden, die Flötentöne kamen samt und sonders aus dem Mund des Meisters. Mitreißend!

Aber auch wenn "El Canario" noch so gut war, als es gegen sieben Uhr ging, wuchs die Spannung ins Unerträgliche. Würde sie wirklich gleich auf der Bühne erscheinen? Wie würde sie aussehen, was würde sie sagen? Celia Cruz, die alte Dame der afrokubanischen Tanzmusik, populär schon zu Zeiten, als noch niemand von Salsa sprach. Über ihr Alter gibt es die wildesten Spekulationen, und sie selbst schweigt in Würde. Schätzungen von etwa 75 Jahren liegen sicher nicht allzu weit von der Realität entfernt, und seit sage und schreibe fünfzig Jahren ist Celia Cruz im Musikgeschäft. Ein absoluter Rekord, übertroffen nur von Tito Puente. Und dann war es soweit: Ganz unspektakulär betrat sie die Bühne, zusammen mit ihrem Mann Pedro Knight, langsamen Schrittes – auch bei Ihr hat das Alter letztlich Spuren hinterlassen. Aber dieser Eindruck wird Lügen gestraft, als sie das Mikrofon in die Hand nimmt, einen kurzen, eindringlichen Blick ins Publikum ruft, und ihren unverwechselbaren "Schlachtruf" ertönen läßt: "Azucar!" Und dann geht es los, eine volle Stunde Celia pur, eine Stunde purer Salsa, die erkennen läßt, daß Celia Cruz nichts von ihrer Energie, ihrem Enthusiasmus, ihrer Faszination verloren hat. Zu Hits wie "La Guagua", "Usted Abusó", "Bamboleo" sieht man nichts als zuckende Leiber und eine souveräne, alle(s) beherrschende Diva. Für diesen Moment, für diese Stunde hat sich nicht nur die Fahrt von La Selva, sondern auch der Flug aus dem verschneiten, kalten Deutschland gelohnt, in diesem Augenblick so weit weg wie der Vollmond, der über der traumhaften Kulisse scheint. Und auch für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, einmal Celia Cruz live zu erleben. Wer weiß wie lange sie noch singen wird? Hoffentlich noch fünfzig weitere Jahre...

Danach sind wir alle ausgepumpt, obwohl das Festival noch nicht zu Ende ist. Den Abschluß macht La India, Idol der neuen Teenie-Pop-Salsa-Generation. Ich selbst bin sicher nicht ihr größter Fan, abgesehen von ihrer tollen Produktion mit Eddie Palmieri ("Vivir sin ti") und ein paar sonstigen Stücken ("Vivir lo nuestro" mit Marc Anthony), zu eindringlich finde ich ihre Stimme und zu sehr ist ihr Salsa-Stil vermischt mit Pop-Elementen. Aber in den U.S.A. ist La India der absolute Top-Star, und so bin ich schon ein wenig gespannt auf diese Frau, die selbst von Celia Cruz als ihre legitime Nachfolgerin bezeichnet wird. Das Kreischen des Publikums, als sie endlich die Bühne betritt, vermischt sich mit meinem Schock, der ich La India von CD-Covern und Zeitungsfotos als schlanke Schönheit in Erinnerung habe. Aber wie sehr ist die echte La India aus dem Leim gegangen! Auch die gezwungen wirkenden einführenden Bemerkungen, die das Publikum nochmals anheizen sollen (obwohl das gar nicht mehr möglich ist) tragen zu meinem eher zurückhaltenden Bild bei. Das erste Lied hören wir uns noch an, wir Gringos aus dem Regenwald, aber insgeheim sind wir uns alle einig: selbst wenn sie La India als ihre Erbin bezeichnet, Celia Cruz ist einzigartig, "la única!", und keine wird ihr je das Wasser reichen können.

Erschöpft, aber glücklich und etwas wehmütig machen wir uns auf den Heimweg, es ist schon fast neun Uhr, wir haben acht Stunden non-stop Salsa hinter uns, und der Wald wartet. Und noch während wir im Bus sanft entschlummern, wissen wir schon: nächstes Jahr um die gleiche Zeit werden wir alle wieder in La Selva sein, um dann wieder gemeinsam antreten können zum Besuch des zweiten Festival Internacional "Full Moon Salsa" 2000!

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Copyright: Text und Bilder: Rob Lücking (rlucking@hotmail.com), Layout Klaus Reiter (klaus@salsaholic.de). Letzte Änderung: 4.4.2000.